Wenn Niederlagen Flügel bekommen

veröffentlicht 18.11.2025 von Hendrik Jung, Dekanat Rheingau-Taunus

Warum immer nur von Erfolgen erzählen, wenn man aus Missgeschicken lernen kann? Diese Frage haben sich Menschen in der Start-Up-Szene Mexikos gestellt. Nun hat auch im evangelischen Gemeindehaus Idsteins die erste sogenannte "FuckUp-Night" im Dekanat Rheingau-Taunus stattgefunden.

Auf den ersten Blick wirkt alles sehr gelungen bei der Veranstaltung mit dem Titel Rise Like a Phoenix. Rund 50 Personen sind erschienen, viele stehen Schlange am Cocktail-Stand und wählen zwischen Caipirinha, Piña Colada, Sex on the Beach oder alkoholfreien Alternativen. Dazu spielt Dekanatskantor Carsten Koch auf dem Flügel Stücke wie den Bangles-Klassiker Eternal Flame, den Beatles-Hit Here Comes the Sun oder eben Rise Like a Phoenix. Ein halbes Dutzend Gäste sind bereit, über Misserfolge in ihrem Leben zu berichten im Gespräch mit Pfarrerin Daniela Opel-Koch und Co-Moderatorin Sara Gürer. Dass dies auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde erfolgt, ist dabei gar nicht mal so verwunderlich. „Die Bibel ist voller FuckUp-Momente“, erläutert Daniela Opel-Koch. Sei es die Vertreibung aus dem Paradies, im Leben von Moses oder die Kreuzigung Christi. Doch seien es nicht die Fehler, die einen Menschen definierten. „Unser Tiefpunkt ist niemals Gottes Endpunkt“, betont Daniela Opel-Koch.

So wie die biblischen Beispiele eine Wendung erfahren, so ist es auch bei den meisten Erlebnissen, die auf dem Podium geschildert werden. „Fehler machen ist unvermeidbar. Es geht gar nicht ohne“, verdeutlicht Tanja Gatzke. Scheitern könne man aber nur, wenn man nach einem Fehler nicht bereit sei, neue Erfahrungen zu machen. Die Resilienz-Trainerin berichtet von einem Fehler den sie als Hobbysängerin begangen hat, als sie die Generalprobe in einer Kirche nicht an derselben Stelle durchgeführt hat, wie den Auftritt. Unsicher, ob sie Fehler gemacht hat, war die 17jährige Lisa bei ihrem Auslandsjahr in Florida. Dass auch der Gastfamilie der christliche Glaube wichtig ist, habe nach kurzer Zeit zu Differenzen geführt. „Ich habe gemerkt, dass unsere Glaubenswege in verschiedene Richtungen gehen“, blickt die Schülerin der Idsteiner Pestalozzischule zurück. Ihre Gastfamilie habe sie zu Bibelkursen geschickt doch per Mail habe ihr Pfarrerin Daniela Opel-Koch bestätigt, dass sie natürlich glauben dürfe, dass Jesus alle Menschen liebt und nicht nur bestimmte Personen. 

„Ich möchte zurück zu meinem alten Leben, aber mit Lerneffekt. Ich habe gemerkt, dass meine Familie das Wichtigste ist“, berichtet Jule Schneider. Die dreifache Mutter hat in diesem Jahr eine Krebsdiagnose erhalten und im März eine Therapie begonnen. Ihr umfangreiches Engagement in der Ukraine-Hilfe habe die Flugbegleiterin zunächst zurückgestellt und dafür mit dem Laufen begonnen. Vielleicht habe sie die Erkrankung gebraucht, um besser auf sich selbst zu achten. Auf jeden Fall sei ihr bewusst geworden, dass sie noch gebraucht werde.

Idsteins Bürgermeister Christian Herfurth (CDU) berichtet davon, dass er in seiner Jugend Flugzeugpilot werden wollte. Das Ergebnis eines Sehtests habe den Traum platzen lassen. Heute trage er in anderer Funktion Verantwortung. Er betont, dass er auch an der FuckUp-Night teilgenommen hätte, wenn er Mitte September nicht wiedergewählt worden wäre. „Ist es überhaupt eine Niederlage in einem demokratischen Prozess?“, gibt Christian Herfurth zu bedenken. Dass es sehr hart sein kann, berichtet der evangelische Pfarrer Benjamin Schiwietz. Drei Mal hätten ihm nur wenige Stimmen gefehlt, um Dekan des Dekanats an der Lahn zu werden. Im vierten Wahlgang habe dann das Los gegen ihn entschieden. „Das hat mich eine ganze Weile erst Mal angeknockt“, verdeutlicht Benjamin Schiwietz. Eine dreimonatige Studienzeit im Berchtesgadener Land habe ihm wieder Aufwind gegeben. 

Dorothea Ahlers, Vorstandsvorsitzende der Hospizstiftung Idsteiner Land, berichtet, wie sie nach elf Jahren ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat eines Unternehmens niedergelegt hat, weil zu viele Kollegen den eigenen Vorteil vor den Betrieb gestellt hätten. Eine Besucherin greift das auf, um von ähnlichen Erfahrungen in einem Verein zu berichten. An mehreren Stellen haben die Gäste Gelegenheit, aktiv zu werden. Bei anonymen Umfragen, durch Fragen oder einfach, indem sie eine der bereit gelegten Federn in ein anfangs leeres Glas legen, wenn sie ein Bericht an eigene Erlebnisse erinnert. Auf diese Weise lassen bei der FuckUp-Night einige Gäste Federn.